Liebe Freunde,
das letzte aramäische
Daniel-Kapitel vor dem siebten,
der "Menschensohn"-Vision, ist schon seit einigen Wochen im Netz: Daniel
in der Löwengrube, Dan 6. Genauso märchenhaft erzählt
wie die "babylonischen"
Episoden wird diese "persische" erzählt: Intrige gegen den eigentlich
hoch angesehenen jüdischen Minister, Todesstrafe, Errettung durch
göttlichen Eingriff, der beunruhigte König Dareios (Darjawahusch)
ist getröstet über die Rettung seines geliebten Freundes, sein
persisch-zarathustrischer Monotheismus schließt sich mit der Religion
des von Gott Geretteten bestätigend zusammen.
Zu Weihnachten habe ich
den gesamten Motivkreis des Emanuelbuches,
Jesaja 7, 9 und 11, wie er über das Lukasevangelium
und das Jakobus-Apokryphon
in den Koran, Sure
3 und das mittelalterliche Pseudo-Matthäus-Evangelium
hinübergewandert ist und schließlich in dem Lied "Es
ist ein Reis entsprungen" einmündet, noch einmal nachgezeichnet;
auch das Nasir-Motiv
der Samson-Geburt, wie es im
Lukasevangelium schon für Johannes den Täufer, aber auch
bei Matthäus
für Jesus "von Nazareth" (= Nazoraios) beansprucht wird. Das Lied
vom "Reis
aus der Wurzel Jesse" behauptet, Maria sei dieses Reis; und als im
späten Mittelalter aus dem "Reis" eine "Rose" wurde (vgl.
die Madonna des Isenheimer Altars mit ihrem Rosenblüten-Kleid),
wurde diese Identifizierung mit Maria noch auf Kosten des alten Jesaja-Motivs
verstärkt, so daß verschobenerweise nun die Rose selbst noch
ein Blümlein hervorbrachte... Die älteste Erwähnung der
Geburt und Abstammung Jesu findet sich aber wohl nicht in den Evangelien,
sondern in den älteren Paulusbriefen, nämlich im
Römerbrief, gleich vorne eingearbeitet in das Subjekt des Briefformulars,
den Absender:
1:1 Paulos doulos Christou Iêsou
klêtos apostolos
aphôrismenos eis euangelion
Theou
1 PAulus ein Knecht Jhesu Christi / beruffen zum Apostel /
ausgesondert zu predigen das Euangelium Gottes /
1:2 ho proepêngeilato dia tôn prophêtôn
autou en graphais hagiais
2 Welchs er zuuor verheissen hat / durch seine Propheten / in der heiligen
Schrifft /
1:3 peri tou Huiou autou tou genomenou ek spermatos
Dauid kata sarka
3 von seinem Son / der geboren ist von dem samen Dauid nach dem Fleisch
/
1:4 tou horisthentos Huiou Theou en dunamei kata
pneuma hagiôsunês
ex anastaseôs nekrôn
Iêsou Christou tou Kuriou hêmôn
4 vnd krefftiglich erweiset ein Son Gottes / nach dem Geist / der da
heiliget /
Sint der zeit er aufferstanden ist von den Todten
/ nemlich / Jhesus Christ vnser HErr /
Ganz deutlich, und weniger
mythisch als die beiden Stammbäume
Jesu bei Matthäus und Lukas,
die über verschiedene David-Söhne und deren Familienzweige letztlich
immerhin über einen Josef (und keineswegs über Maria) zu Jesus
geführt werden, wird hier, bei Paulus, diese David-Abstammung als
die "fleischliche" Herkunft Jesu festgestellt: Josef ist noch nicht der
alte Resignator und Marienhüter der Apokryphen, sondern nichts Geringeres
als eben der leibliche und königliche Vater Jesu. Darauf folgt im
Briefformular gleich noch die gewaltige Geburt des Sohnes Gottes, die sich
nicht eigentlich in der Weihnacht, sondern in der Osternacht "erweist",
und zwar nicht fleischlich, sondern als Geburt aus den Toten "in Kraft",
"gemäß dem Geist der Heiligung". Zwischen der Geburt des Davidsohnes
dem Fleisch nach und der Geburt aus dem Toten dem Geist nach findet sich
in den Evangelien
die Geburt des Gesalbten, des Christus, des Messias, durch die Taufe,
in der der
Krönungspsalm zitiert wird: "Du bist mein Sohn, heute habe ich dich
geboren!", allerdings in den Evangelien in einer Abwandlung, die das
Wort von der "Geburt" vermeidet. Diese Krönungs-Stimme aus den Höhen
wird ja zum Abschluß der "Weihnächte" am Dreikönigstag=Epiphanias
zitiert.
All diese Funde sollen nicht
von der Überlegung ablenken, was denn der Heilige Geist in uns für
ein Organ heranbildet, das den Christus aufzunehmen fähig ist. Das
Jesus-Organ, in dem der Weltentäter in den einzelnen Individuen tätig
werden kann und das uns zugleich untereinander kommunikativ so verbindet,
daß es uns von der Verschlossenheit aller gegen alle heilt, -- was
ist es?
grusz, hansz
1.
Rundbrief 2012: 14 Upanischaden
24.März
2012
Liebe Freunde,
drei große Pakete
sind in diesen drei ersten Monaten des Jahres geschnürt worden:
a) Die 14 ersten, d.h. die
wichtigsten, der 60 von
Paul Deussen übersetzten Upanischaden sind nun eingenetzt und
b) zum Teil auch um den
Sanskrit-Text ergänzt, so vor allem die älteste, die große
Chândogya-Upanishad; das entspricht den ersten 600 Seiten
der Deussen-Sammlung. Natürlich sind Vorrede, Inhaltsverzeichnis,
die einführenden Einleitungen, Kommentare und Anmerkungen Paul Deussens
gleich mitgeliefert. Es werden also die beiden Upanischaden des Rgveda,
die beiden des Sâmaveda, die fünf des schwarzen und die zwei
des weißen Yajurveda sowie die drei wichtigsten dem Atharveda zugeordneten
Upanischaden genau in Deussens Reihenfolge und Systematik hier dargeboten:
Paul
Deussen (übers.) :
Sechzig Upanishad's des Veda : Inhaltsverzeichnis
c) Außer dieser Übernahme
der deutschen Übersetzung und der nunmehr vollständigen interlinearen
Sanskrit-Ergänzung der Chandogya-Upanishad (weitere Sanskrit-Ergänzungen,
z.B. Mundaka,
Prashna und Mândûkya,
sollen noch folgen) habe ich dann noch die Vedânta-Sûtrâs
des Bâdarâyana wesentlich erweitert und um das gesamte
Inhaltsverzeichnis
(Deussen) ergänzt. Im Unterschied zu Pâtanjalis
Yoga-Sûtra sind die abgerissenen "Denkzettel"-Formeln des Bâdarâyana
ohne den großen Kommentar des Shankara (8.Jhd.n.Chr.) völlig
unverständlich. Sie sind aber, jedenfalls durch Shankaras Kommentar,
grundsätzlich eine Auslegung der hier aufgeführten 14
Upanischaden, also der Gipfel der großen exegetischen Traditions-Pyramide,
deren Basis die vier Veden mit ihren jeweils zugeordneten ältesten
Auslegungstexten, vor allem eben diesen Upanischaden, bilden. Nah an der
Basis sind diese Texte noch unmittelbar auf die Rituale des Opfers bezogen,
generalisieren und vertiefen diese Exegese dann in den weiteren Schichten
dieser Literatur-Pyramide und bilden das "Ende" ("anta") des Veda ("Vedânta")
mit Shankaras All-Einheits-Philosophie, die in unserer eigenen Tradition
am ehesten dem Neuplatonismus in seinen Ausprägungen von Platons Sonnengleichnis
über Plotin und Proklos und die Scholastik bis zum deutschen Idealismus
(Hegel) entspricht. Der lebenslange Nietzsche-Freund (aus Schulpforta-Zeiten)
und Schopenhauerianer Paul Deussen bringt kenntnisreiche Vergleiche und
Überlegungen, zu lesen in der Vorrede seiner "Sechzig Upanishad's".
Das tat-tvam-asi-Kapitel
der Chandogya-Upanishad ist Euch, liebe Freunde, schon länger
bekannt, aber neu ist die andere große, gleich-alte Brhadâranyaka-Upanishad
mit den Gesprächen, die Yâjñavalkya
mit der einen seiner beiden Gattinnen
führt. Ach, alle, alle diese 14 sind bedeutend in ihrer Reichweite
zwischen poetischen und abstrakteren, archaisch-ritualistischen und amüsant-narrativen
Stücken; diese 600 Buchseiten (das ist ziemlich genau die volle erste
Hälfte der Deussen-Sammlung) bieten den ganzen bunten Regenbogen der
theologisch-philosophischen Entwicklung vom naturreligiösen Opferritual
bis zum puren Idealismus des all-ein-seienden ICH.
Zwar
komme ich vom philosophischen "Ende" her, aber oft finde ich (mehr als
an dem ewig gleichen Alleinheitssatz) Gefallen an den vorbuddhistischen
Gedankenwanderungen durch die Lebensprozesse, Essenzen und Verwandlungen
(Metamorphosen) der sinnlichen Substanzen. Dieses die vedischen Opfer durchwandernde
exegetische Gespräch, oft fast schon ziellos kreisend, Schleifen ziehend,
diese meditative Deutungs-Chemie, hat eine eigene Musikalität. Ja,
das ist doch wohl Musik: die organische Systematik einer Wanderung durch
den Wiederholungs-Wandel der Wandlungs-Wendungen,
grusz, hansz
P.S.:
aus einer Fußnote
Deussens zur Mundaka-Upanishad:
Bhâskarânanda Svâmin
(ein mir befreundeter alter Sannyâsin,
mit dem ich öfter philosophierte, indem er, völlig nackend, neben
mir auf einer Steinplatte des Gartens in Benares saß, welchen er
bewohnt) scheint meiner Meinung zu sein, wenn er in einem eben erschienenen,
populären Kommentar zu acht Upanishad's
zu Eingang von Mundaka bemerkt: asya
ca shirovratibhir adhyetavyatvâd Mundaka-iti-âkhyâ;
wozu freilich nicht stimmt, daß er nachher bei der Stelle Shankara's
Meinung reproduziert...
2.
Rundbrief 2012: fICHte
19.Mai 2012
Liebe Freunde,
gerade nun, während
ich mitten im mittleren Yâjñavalkya-Drittel
der Brhadâranyaka-Upanishad
mit den Erörterungen über den Âtman, das alldurchlebende,
all-ein-seiende ICH befaßt bin, das Ursprung, Substanz und Ziel aller
Lebenskreise ist, feiern wir den 250. Geburtstag des großen Philosophen
des "Ich-bin": Johann Gottlieb Fichte.
Schopenhauer hätte
die Übereinstimmung der vedischen Ich-Philosophie mit der Fichteschen
Kant-Interpretation erkennen und würdigen müssen, aber er zog
die Anonymität eines bewußtlos-blinden
Willens der Selbstidentifizierung eines reinen Vernunft-Willens vor,
obwohl er doch in seinem Hauptwerk (Die Welt als Wille und Vorstellung)
genauso wie Fichte nichts anderes als eine "weiterdenkende" Kant-Auslegung
betreiben wollte.
Dem liegt der Gedanke zugrunde,
daß in Kants "Kritik der praktischen Vernunft" die Selbstbestimmung
des Willens sich nicht (wie die objektive Erkenntnis) in der Erscheinungswelt
verliert, sondern unmittelbar "an sich", also in sich, durch sich, aus
sich, als sich selbst - - - (welches Verb ist hier richtig? Fichte beginnt
mit "sich setzt", ringt aber sein Leben lang in den verschiedenen Fassungen
seiner "Wissenschaftlehre" um die logische Binnenanalyse dieser Selbstsetzung)
- - - sich hervorbringt, sich schafft, sich "tätigt". Das Ich besteht
aus dieser Handlung, im Erkennen sich zu schaffen, und so nennt Fichte
es "Tathandlung", später zusammen mit Schelling "intellektuelle
Anschauung".
Die großen "Bomben"
philosophischer Entdeckungen im Deutschen Idealismus scheinen kaum entschärft,
sie ruhen gewissermaßen unentdeckt im Acker oder im Keller oder unter
der Straßendecke des Wissenschaftsverkehrs: Kants Beweise für
die transzendentale Idealität
des Raumes und der Zeit (d.h.: sie sind bloße Bewußtseinsstrukturen,
sie dimensionieren die Welt "für uns", sie kommen nur unserer Erscheinungswelt
zu) wären da besonders explosiv, und mindestens genauso brisant die
Entdeckung, daß das Ich erkennender Wesen nicht von einer anderen,
ihm äußeren Instanz gegeben, gestiftet oder gar "erschaffen"
sein kann. Der "Schöpfer" muß vielmehr mit dem Ich eines jeden
identisch sein, er kann die permanente Selbstsetzung nicht setzen, ohne
sie als sich selbst zu setzen. (Konsequenterweise wird in Genesis
2 das Leben des Adam nicht aus der Adamah
geschöpft, sondern der zum Leib gestalteten Adamah
eingeatmet, eingegeistet, als ruach-pneuma-spiritus
der Gottheit selbst.) Und im gleichen Zusammenhang harrt die Entdeckung
einer Wiederentdeckung, daß kein Objekt ohne ein Subjekt gedacht
werden kann, dessen Bewußtseinsinhalt es ist, so daß alle Welt
den Bewußtseinsregungen der Erkenntnissucher eingelagert ist (wenn
auch verborgener Weise, als zu hebende Schätze der sokratisch-platonischen
"Anamnesis").
Wie alle Welt und alle Wesen
durch Subjekt-Objekt-Polarisierung aus dem prädisjunktiven ICH hervorkeimen,
ist das große Wunder, das im Deutschen Idealismus, z.B. in Schellings
"System des transzendentalen Idealismus" (1800), genauso fasziniert
und faszinierend aufgedeckt wird, wie in den Meditations-Stufen, den Gedanken-Wendeltreppen
des Yâjñavalkya in
der Brhadâranyaka-Upanishad,
-- aber natürlich in völlig verschiedener Vorgehensweise, in
ganz anderer Sprache und Vorstellungswelt. Fichte interpretiert Kant, die
Upanishaden interpretieren
das vedische Opferritual, Yâjñavalkya
geht immerhin darüber hinaus, etwa durch
Betrachtungen
der menschlichen Bewußtseinsphasen des Wachens,
Träumens
und des Tiefschlafs, so daß dem Gedanken Weg gebahnt wird, daß
das Ich sich darin finde, sich in der seligen Trance des Tiefschlafs seiner
selbst bewußt zu sein und im ozeanisch tiefen Hinter- und Untergrund
der strömenden, wogenden, verkräuselten Gedankenoberflächen
die schlafensselige Ichbinheit wahrzuhaben, die durch systematische Versenkung
zu Bewußtsein kommen kann: Laßt
ab und erkennt, daß ICH BIN = Gott!.
Erheben
wir das Glas auf Fichte, den Philosophen, der das ICH in seinem Namen trägt!,
auf ihn!,
grusz,
hansz
3.
Rundbrief 2012: Sheila Volk
5.Oktober 2012
Liebe Freunde,
gewiß, ich
male selbst, aber eher still und heimlich als laut und öffentlich;
und die Resonanz auf meine Farbenspiele ist dementsprechend gering, und
das ist vielleicht gut so.
Mit drei Künstlern
fühle ich mich persönlich verbunden: Da ist als jüngste
Agnes Lammert, die, bevor sie in Leipzig bei Neo Rauch zu studieren begann,
zu den Schülern des Görlitzer Gymnasiums gehörte, an dem
ich Latein, Ethik und Philosophie unterrichte. Wir kennen uns durch die
Philosophie-Arbeitsgemeinschaft, die ich vor etwa 12 Jahren angefangen
habe, und da bildete sich innerhalb jener Schülergeneration ein in
sich fruchtbarer Freundeskreis, den ich, eine Generation älter, gewissermaßen
nur am Rande berühre. Die Bilder von Agnes Lammert sind so wunderbar
wie sie selbst, ich kann nur jedem empfehlen, einen Blick in ihre Seiten
zu werfen: www.agneslammert.com,
und ich sehe die Bilder unter einem fokussierten Blickwinkel, seit ich
dem zweiten hier zu nennenden Künstler, Günter Thorn, eine Frage
zu seinen Bildern gestellt habe, nämlich: "In Deiner Roten Reihe,
bei diesen roten Strichen auf Weiß, bin ich nicht sicher, ob da Menschen
durch den Schnee stapfen; oder sind das abstrakte Skizzen?", und er antwortete
mir: "Ich male immer Menschen, das alles sind Menschen." Günter Thorn
ist ein Klassenkamerad vom Nippeser Gymnasium in Köln, auf das ich
vor vielen Leben und Toden gegangen bin, der einzige übriggebliebene
Freund, wenn ich auch längst aus dem Rheinland geflüchtet bin
(erst nach Niedersachsen, dann hier in die Lausitz) und so alte Freundschaften
sehr schlecht pflege ... schließlich hat er mich per Internet wiedergefunden,
nicht ich ihn. Aber ich liebe ihn als gute Seele und bewundere ihn als
Künstler von außerordentlichem Bewußtsein für heikle
Materien, extreme künstlerische Reduktion auf das allein Wesentliche
und räumliche Verhältnisse, siehe http://www.halle6.de/ind2/kuenst1/thornkue/thornkue.html.
Deshalb, eben weil ich zunächst nur seine bildhauerischen Arbeiten
mit Fels und Glas kannte, war ich über diese "Menschen"-Substanz seiner
Werke verblüfft; und als ich Agnes davon erzählte, sagte sie
(wenn ich mich richtig erinnere, es ist wohl fünf Jahre her), das
sei doch selbstverständlich, Kunstwerke müßten immer Menschen
darbilden (oder "enthalten" oder "sich auf Menschen beziehen"; das eigentliche
Prädikatverb ist mir entfallen, es zu suchen ist Dichtung).
Die dritte mir so schrecklich
nahe und ach, so entsetzlich ferne Künstlerin ist Sheila Volk, Schöpferin
überaus vergänglicher, hochorigineller Kunst-Werke und -Aktionen
in Hamburg, eine der stärksten Persönlichkeiten, die mir in meinem
Leben je begegnet sind. Sie war meine erste Freundin, zwei Jahre lang,
als ich 18-20 und sie selbst 16-18 war, ich malte sie damals, siehe http://12koerbe.de/bienengold/wablei.htm#Sheila
und http://12koerbe.de/bienengold/wilde.htm#Sheila.
Ein Zentralkörperchen in meiner Lebenszelle war sie und blieb es weit
über jene zwei jungwilden Jahre hinaus. Ich schrieb 1979 eine Kurzgeschichte,
durch Wellershoff veröffentlicht bei Kiepenheuer & Witsch ("Das
Mandala eines Tages"), in der sie die namenlose "SIE" der Erzählung
ist; und nach Jahrzehnten der Distanz erfuhr ich, daß sie in Hamburg
gelandet war und dort arbeitete und lehrte. Ich schickte ihr also vor etwa
drei Jahren, um den heißgeliebten, mir allzu kaltfeindlichen Gegenpol
all meiner Religions- und Philosophie-Versessenheit optimistisch-versöhnlich
und freudig zu überraschen, ein Paket mit Früchtebrot, Dattelkuchen
und den Ingwer-Produkten aus meiner Snapeschen Hexenküche, bekam auch
eine etwas ungnädig-selbstbewußte, spöttische Antwort von
ihr und erkannte, es ist immer noch Sheila Volk, wie sie leibt und lebt.
Günter, Du kanntest sie ja auch. Nun wollte ich wieder mal sehen,
"googeln", was sie so in Hamburg treibt, und
da sah ich das erste Mal seit etwa 35 Jahren ein Bild von ihr, ich
meine von ihrem Gesicht mit den großen Lippen, ihrer Leibesfülle
in den letzten Jahren, und sie war doch, als ich sie kannte und malte,
von knochiger Schlankheit und asketischer Kargheit der Leibes- und Lebensführung!
Und da las ich, daß sie 53 Jahre alt im April 2010 verstorben ist.
Soll man ihrem umtriebigen,
revolutionären, anarchischen, anarchistischen, scharfen und fruchtbarem
Geist wirklich wünschen, "in Frieden zu ruhen?", nein, sondern "wirk
weiter, Sheila!" ("Ich glaub nicht an Auferstehung" lacht mir ihre Seele
entgegen, "Was, Seele? Laß mich in Frieden!", also gut: "Frieden
Dir!", Du meine erste
Liebe),
grusz,
hansz
4.
Rundbrief 2012: S'ist Krieg
4.November
2012
Liebe Freunde,
es gibt im großen
indischen Epos über den Kampf der Pândavas
gegen ihre Vettern, die Kauravas, um
den Königsthron eine kleine Szene, die so unscheinbar ist, daß
sie in den üblichen literaturgeschichtlichen oder handbüchenen
Zusammenfassungen der in 100.000 Doppelversen ausgebreiteten Handlung gewissermaßen
unter den Tisch fällt. Ich kannte diese kleine Szene noch aus einem
früheren Leben, als ich Indologie studierte, sie kam mir aber in diesen
Tagen in den Sinn und ich schrieb ein kleines Gedicht, das mit dem Motiv
dieser verschwindend-kleinen Szene beginnt (Nr.7
im 8-Stern-Zyklus). Aber ich wollte die Geschichte gerne genauer nachlesen.
Letzten Sommer, während der Indienreise, las ich deshalb die höchst
empfehlenswerte 300-Seiten-Nacherzählung des Mahâbhârata
(so heißt dieses Epos), die Biren Roy 1961 (Diederichs
Gelbe Reihe) veröffentlicht hat, aber da fand sich die gesuchte Szene
nicht; auch nicht bei Glasenapp oder in der recht guten Wikipedia-Zusammenfassung.
So besorgte ich mir vor zwei Wochen endlich antiquarisch den alten "Winternitz",
den ich im Indologiestudium gelesen hatte, und da fand ich die Stelle.
(Und nur bei Winternitz
S.269 und nicht eben bei Biren Roy oder Glasenapp steht übrigens
auch die skurrile Begründung für die edle Blässe des "Bleichgesichts"=Pându,
dessen fünf Söhne die Pândavas
sind, sowie für die Blindheit von dessen Bruder Dhrtarâshtra,
dem Vater der 100 Kauravas.)
Diese 60
Seiten aus der "Geschichte der indischen Litteratur" von Moritz Winternitz
habe ich also nun ins Netz gestellt, mit einem verlinkten Inhaltsverzeichnis
vorweg, mit allen Anmerkungen und Seitenzahlen, färbte alle Sanskrit-Namen
und -Begriffe (wie bei mir üblich) blau ein, nun, da steht's: http://12koerbe.de/hanumans/mbharata.htm
Die innerhalb des komplexen
Getümmels so "verlorene" Szene?, ach ja: Der Kampf endet nicht mit
Sonnenuntergang, wie üblich und vereinbart (und es ist ja alles, jeder
Kampf: wer wie wann gegen wen und wer wie wann gegen wen nicht,
wie ein Spiel in ritterliche Regeln gefaßt und "vereinbart"!), sondern
tobt in wahnsinniger Verletzung all dieser Regeln bis tief in die Nacht
hinein und lebt nach kurzen Erschöpfungspausen (die ich beim Schreiben
meines Gedichts, d.h. bevor ichs bei Winternitz wiederlas, vergessen hatte)
noch vor der Morgendämmerung wieder in aller Heftigkeit auf, und da
nun geschieht das, was mich so beeindruckt hat: Die Sonne geht auf -- und
alle unterbrechen für einige Minuten das große Morden, um die
Sonne im Gebet zu verehren.
Die wesentlichen Schlüsselszenen
der Handlungsfolgen in der Haupterzählung des riesigen Epos sind natürlich
andere: Wie kommt es überhaupt zum "großen" (maha)
Krieg der "Bharatas"? Durch ein Würfelspiel
zwischen den königlichen Vettern, das die Pândavas
verlieren: Sie haben nacheinander alles eingesetzt, auch ihr Königreich,
schließlich sich selbst und dann noch die allen fünfen gemeinsame
(!) Gattin Draupadî, aber das wollt
ihr bestimmt sofort selber nachlesen,
grusz,
hansz
5.
Rundbrief 2012: Achtstern
15.Dezember
2012
Liebe Freunde,
wir lesen im 2.Könige-Buch
des Alten Testaments (2Kön 22,8), wie bei der Reinigung und Renovierung
des Tempels "das Gesetzbuch" wiedergefunden worden sei: der findige Hohepriester
gibt es dem Schreiber, der bringt es dem König und liest es ihm vor.
Manche Philologen haben den Verdacht, der Schreiber habe es selbst geschrieben,
es sei ihm vom Hohenpriester diktiert worden; weshalb habe es sonst so
neu und originär gewirkt? Damit vergleichbar ist das Auffinden des
Achtstern-Liederzyklus
in meinen Schubladen, der eigentlich siebenten Gedichte-Gruppe innerhalb
der alten Siebenstern-Sammlung,
wenn man "Tristan violer
d'amores" und "Iseut"
als einen Zyklus in zwei Teilen sieht, allerdings wird man die beiden ursprünglich
letzten "Neun namenlose Lieder"-Zyklen
auch zu einem Achtzehner zusammenfassen können, falls sich noch so
ein wunderbarer Fund wie der "Achtstern"
auftut. Die 25 Gedichte dieser Sammlung können gut mit den anderen
75 Liedern des "Siebenstern" mithalten, sogar mit den Glanzstücken
aus den beiden Zyklen, die als "Neun
namenlose Lieder" seit etwa 1990 bisher die Krönung des ganzen
"Siebensterns" bildeten.
So wie bei jenen 18 Liedern handelt es sich bei diesen 25 des Achtsterns
vor allem um unglückliche
Liebeslyrik. Das größte Unglücklichsein verursacht
manchmal einen überglücklichen ästhetischen oder poetischen
Reiz, allerdings wohl mehr bei Lesern und Schubladenfindern als bei dem
verrückten Dichter, der oft entweder im Tod oder in metaphysisch gesättigter
Entsagung sein Heil sucht, vergleiche
das abschließende letzte Lied des Achtsterns,
da ihm ohnehin nichts anderes übrigbleibt. Da ich die Frau kennengelernt
habe, die der Dichter dort so erfolglos angebettelt und angebetet hat,
habe ich sie gefragt, ob sie damit einverstanden sei, daß "ihre"
Lieder hier veröffentlicht werden. Ja, sagte sie zu meinem Erstaunen,
unbedingt, sie wolle gern "unsterblich" werden, denn sie schätze die
Lieder sehr hoch. Ob der Dichter sie rühren oder gar verführen
konnte mit seinen Strophen, ließ sie unbeantwortet. Wie auch immer:
Ich suche also einen Verleger für alle nun genau 100 Gedichte des
Siebensterns, mindestens
aber für die 25 des Achtsterns,
und natürlich auch viele, viele Leser über die einzige Erstleserin
und Eigentümerin dieser Verse hinaus.
Kostprobe aus dem drittletzten
Lied, dem "nächtlichen Ständchen":
Sie:
Was
war denn gestern abend los?
Gejaul
von geilen Katzen erst,
Er:
Ich
fand ein Lied
und
hab es dir hier dargebracht
Ein Ständchen
nur. Ich sangs,
grusz,
hansz
1.
Rundbrief 2013: umgezogen
Liebe
Freunde,
Hans,
ungezogen, ist nun umgezogen von der Elisabethstraße in Görlitz
gewissermaßen um die Ecke, ganz nah, nämlich in die Weberstraße
17, also in die Altstadt hinein (noch immer 02826 Görlitz). Grund
dafür ist die Trennung von seiner indischen Gattin. Der Umzug war
mühevoll, vor allem wegen der gut 1000 Bücher, die durcheinandergewirbelt
auf dem Boden lagen, etwa einen halben Meter hoch in papiernen Splitterwogen
im Arbeitszimmer und im Flur, -- alle neu zu sortieren, in die Kisten zu
verstauen, dann in der neuen Wohnung einzuräumen in die neuen Regale,
eine schier endlose Arbeit, alles allein, denn die Ordnung einer Bibliothek
ist Sache ihres Eigners.
Das
Telephon ist mit Erhalt der Nummer nun in die neue Wohnung übernommen
worden, so daß nun auch keine Anrufe von seiten meiner Gattin mehr
zu erwarten sind, die alle Bekannten durchdekliniert hat, um mich vor ihnen
durchzukonjugieren. Ich bin gebeugt, aber nicht gekrümmt, das Leben
beginnt neu. Ich hoffe, nicht zu viele der alten Freunde sind durch diese
Anrufe abgeschreckt worden. Jedenfalls ists wieder mein Telephon in der
neuen, eigenen Wohnung, der eigenen Privatsphäre, der eigenen Welt.
Ich
war aber so erschöpft und durchwühlt, daß ich mit einer
Herzinsuffizienz im Krankenhaus landete. Nein, liebe Freunde, es geht mir
gut, ich habe weder Schmerzen noch bin ich in meiner Arbeit besonders behindert,
nur Arbeit hindert mich am Arbeiten, wie es so üblich ist: Das endlose
Räumen hält mich davon ab, nun endlich das 200-Jahre-Wagner-Jubiläum
mit vorzubereiten und inhaltlich zu nähren; einzig der Parsifal
ist schon länger kommentiert im Netz, mit der Betrachtung über
den substanziellen Charakter der Musikklänge im Vorspiel und anderem
mehr, die anderen Bühnenwerke liegen noch unbearbeitet in den Vorräumen,
fast so, als befände ich mich gerade in einem Umzug oder als hätte
man mir die Bücherregale übereinandergeworfen und einmal kräftig
umgerührt...
grusz,
hansz
2.
Rundbrief 2013: Der Eckstein
30.März
2013
Liebe
Freunde,
was
für ein parzivalischer Karfreitag das gestern war: Es schneite, wie
in Wolframs Trevrizentbuch, wo der irrfahrende Ritter, in seiner Rüstung
verschlossen, der durch den Schnee pilgernden Adelsfamilie begegnet und
auf den heiligen Tag hingewiesen wird, an dem man sich nicht bewaffnet
und gepanzert zeigen sollte. Dieses Motiv hat auch Richard Wagner in seinem
Parsifal
aufgegriffen, wo Gurnemanz den irrfahrenden Lanzenbringer auf die Waffenlosigkeit
des Karfreitags hinweist.
Nun
zum Thema dieses Rundbriefs: Der im Alten wie im Neuen Testament gern zitierte
Vers vom "Stein, den
die Bauleute verworfen haben", und der "zum Eckstein geworden" ist,
stammt aus Psalm 108
(107 in der Zählung der Septuaginta und der Vulgata), er ist dort
Vers 22. Dieser
Vers ist einer der vielen biblischen Archetypen zum "Stein"-Ektypos
des Grals bei Wolfram von Eschenbach; so ist die viersprachige Netzedition
dieses Psalms (hebräisch / griechische Septuaginta / lateinische Vulgata
/ deutsche Neuübersetzung) ein später Nachklapp zum Komplex der
Grals-Quellen in den "zwölf Körben".
In
diesen Zusammenhang, aber eher als Gegenpol, gehört auch die zweisprachige
Netzedition der Gralserzählung von Robert de Boron: Dem altfranzösischen
Text aus dem 12. Jahrhundert wird eine sehr wortwörtliche Arbeitsübersetzung
zur Seite gestellt. Fertig bin ich damit noch nicht, zunächst liegt
nur die Passions- und Auferstehungsgeschichte mit den Erzählsträngen
zu Nikodemus und Joseph von Arimathia vor, also der anfängliche Textteil,
der sich aus den sogenannten Pilatusakten bzw. dem Nikodemos-Apokryphon
nährt. Auffällig und unangenehm sind die häufigen Ausfälle
gegen "die Juden" -- also ein deutlicher Antisemitismus, der das Werk Roberts
von den Gralsepen Chretiens und Wolframs wesentlich unterscheidet. Gerade
Wolfram hält durch die Flegetanis-Kyot-Legende
und durch den buntscheckigen Halbbruder Parzivals namens "Feirefiz" einige
Türen zu den orientalischen Herkünften und Wurzeln offen, wenn
auch eher mit märchenhafter Neugier als mit philologischer Traditions-Auslotung.
Wolframs "Stein"-Symbolik ist mir auch Anlaß zu einem Lied
gewesen, das ich dem Psalm 108 zum Anhang
gegeben habe.
Frohe
Ostern wünsche ich nun, am Vorabend
des Osterfestes,
grusz,
hansz
3.
Rundbrief 2013: Mondnein
1.Juni
2013
Liebe
Freunde,
gewissermaßen
am Tag nach dem letzten Rundbrief, zu Ostern, begann ich mit einer neuen
Mal-Phase: großformatige
Ölbilder, es sind nun 12 Quadrate (90 cm x 90 cm), als I-XII durchgezählt,
bei denen die Nummern V, VII und VI ein Triptychon bilden, Titel: Mondnein:
zwei mondhell-himmelblaue magische Nachtstücke (V und VI), zwischen
die der untermeerische Ammonit eingeschoben ist, der gleich nach diesen
beiden entstanden ist. Die Entstehung von V und VII ist tagebuch-poetisch
als Brief an die imaginative Muse des Dichters dokumentiert:
So 28.4.2013
Ich
schrieb Dir, Skarabäa, einen Brief. Ich schrieb ihn
Zwei
Tage lang auf ein Quadrat von weißem Leinen
Ich
schrieb mit weichen Haaren, harten Borstenpinseln -
Das
heißt: ich wischte erst und kratzte später Spuren
Ins
Schicht um Schicht auf Schicht geschichtete Geschichte
Zuerst
ward alles rosig eingefärbt - ein Haut-Ton
Man
nennt ihn Inkarnat - drauf sprüht' ich bunte Punkte
Und
zog Spiralen rund herum, umkreiste Felder
Wie
Fische, die den weiten Bögen eingegliedert
Gut
eingeschmiegt, gepaßt-gefaßt, wie Perlmutt glänzen
Ein
allzu bunt geflecktes Farb- und Formgewimmel
Verwirrend
und ermüdend für Betrachteraugen,
Die
einen Schwerpunkt, Fluchtpunkt, eine Mitte suchen
So
ging ich dieser Brut von außen an den Kragen
Mit
Himmelblau umrahmt' ich erst und tauchte schließlich
Mit
wilden Wirbeln ein in diesen Schwarm der Fische
Ließ
Inseln hier und dort und Blätter, Fetzen gelten
Als
lichte Zwischenräume, Mond und Muschelsplitter,
Gestirne
ozeanischer Geburten: "Mondnein",
Ja,
Cohre, so soll dieses blaue Nachtstück heißen
Denn
so, als "Mond-Nein",
kennst Du, Cohre, mich, den Hans-Dein
"Schlaf
gut!" will ich zur Nacht Dir sagen, aber wie?
Denn
sieh: Verloren bin ich, finde mich nicht mehr!
Nachdem
ich heute Dir ein neues Bild gemalt,
Versenkte
ich mich tief in die Spiralgestalt,
Den
Ammoniten, den ich da gewunden hab,
Und
war gebannt und kam dann nicht mehr weg vom Bild
Es
sog in seinen Schneckengang mich mit Gewalt
Hinein,
ich kam nicht mehr hinaus. Da steck ich nun
Und
vor dem Bild sitzt nur mein Körper staunend stumm
Und
starrt mit großen Augen mich im Bild selbst an
Der
Arme! Ich dagegen schwimm durchs Farbenmeer
Ultramarin
- durch Seligkeit in Cohres Schlaf
Nun
hab ich mich entwunden Deinen Armen
Und
Deinem Haar- und Kuß- und Traumgeflecht;
Bin
aus dem Schlaf, bin aus dem Bild geschlüpft,
Koch
uns nun Kaffee und ein Ei. Ists recht?
grusz, hansz
4.
Rundbrief 2013: Johanni
24.Juni
2013
Liebe
Freunde,
Heute
ist mein Namenstag, Johannestag. Es gibt ein großes Werk der Opernliteratur,
das diesen Tag und den Namenspatron des Tages, meinen also, zum Thema hat
und in einer anderen Ereignis- und Personenkonstellation wiederspiegelt:
Spielt in Nürnberg.
Eva
Pogner will mit ihrem frischverliebten Liebenden ausbüxen. Als sie
das Haus gerade verlassen wollen, bemerken sie einen Verehrer der Pognertochter,
den Stadtschreiber Beckmesser, einen griesgrämigen Pedanten, der gerade
in die Straße einbiegt, mit der Laute in der Hand, um ein Ständchen
zu bringen. Der Schuster Hans Sachs bemerkt beide Ereignisse und baut zur
Nacht seine Werkstatt zur Straße hin offen auf, so daß das
Licht über die Straße leuchtet und das Paar seitlich "gefangen"
hält. In dem Moment, wo Beckmesser, der Eva im Haus vermutet, sein
Ständchen beginnen will, beginnt Hans Sachs in grober Lautstärke
eines seiner Lieder zu singen: "Als Eva aus dem Paradies von Gott dem Herrn
verstoßen...", worüber die Flüchtige erschreckt, da sie
die Anspielung bemerkt, der Stadtschreiber aber sauer wird, da er nicht
gegensingen kann.
Ein
herrliches Lied, das von Hans Sachs. Es schildert, wie Gott einen Engel
schickt, der für die arme Eva Schuhe schustern soll, damit sie sich
ihre zarten Füßelein nicht verletzt. Anspielung nicht nur auf
Eva Pogner und auf sich selbst, den Schuster, sondern geheimnisvoller Weise
auf "Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der dir den Weg bereiten
soll", also Johannes den Täufer, den Namenspatron von Hans Sachs,
der in der Oper selbst der wegbereitende Engel für den Geliebten der
Eva ist. Denn Thema des Werks ist: Wie wird ein Künstler zum Künstler?
(Das letzte Wort des Werkes ist "Kunst"). Und Walter von Stolzing, verarmter
Ritter, ist ein genialer Musiker, Sänger, Dichter, der nun nach Nürnberg
zieht, um bürgerlich zu leben und eben was zu tun, zu "arbeiten",
für seinen Lebensunterhalt. Nun singt er bei den "Meistersingern"
vor (Titel des Werks), fällt aber aufgrund der Kritik Beckmessers
durch. Deshalb will Eva mit ihm das Weite suchen. Deshalb diese Situation.
Hans
Sachs einigt sich mit Beckmesser, daß dieser nun singen darf, aber
der Schuster darf dem Stadtschreiber alle Mängel der Dichtung und
Melodieführung in dessen Lied "anmerken", und zwar mit dem Schusterhammer
aufs Schuhleder, so daß der Schuster "anmerkend" weiterarbeiten kann.
Beckmesser singt nun, Hans Sachs schlägt, immer auf den unbetonten
Takten, die "Fehler", ein eifersüchtiger Bursche kommt um die Ecke
und glaubt, seine Freundin (die Magd im Pognerhaus) werde angesungen, beginnt
eine Prügelei mit dem Stadtschreiber, andere kommen hinzu, und aus
dem Ständchen entwickelt sich in einer großen kunstvollen Fuge
eine Prügelszene von etwa 30 Handwerksburschen und genauso vielen
anfeuernden Frauen auf der Straße. Der Nachtwächter erscheint,
wie vom Winde weggeblasen leert sich die Szene, der Nachtwächter staunt,
stößt in sein Horn (immer einen Halbton zu hoch, so daß
die komplexe Musik etwas nachschleppend eine Rückung machen muß),
singt seinen Spruch, Tuttischlag, Ende des zweiten Akts.
Jetzt
höre ich den dritten, zur Feier des Tages. Ein unglaublich schönes
Vorspiel. Die Celli beginnen in großen Intervallsprüngen eine
sehr langsame Melodie, die Bratschen nehmen das Thema auf, die Celli in
basierender Eigenmelodie, die Violinen darüber, und nun die Hörner,
sie intonieren ein Lied von Hans Sachs: "Wacht auf, es nahet gen den Tag",
ein Lied auf Luthers Reformation, aber nur die ersten zwei Verse, dann
geht es in der melancholischen Betrachtung weiter, es ist das Sinnieren
des alten Weisen über die merkwürdigen Vorfälle der Nacht,
die Prügelei am Vorabend des Johannestages. Die Musik verklärt
sich, steigt auf, wohl Sonnenaufgang, und die Bläser setzen das Wacht-auf-Lied
fort, an der Stelle, wo sie es verlassen hatten - "Die Nacht neigt sich
zum Okzident, der Tag geht auf vom Orient, die rotbrünstge Morgenröt..."
beschauliches Ausklingen in polyphoner Verflechtung, getupfte Holzbläser
- der Schusterlehrling kommt rein, den Meister zu begrüßen,
mit Blumen und Geschenkekorb, wegen Namenstag, soll vorsingen (denn Hans
Sachs, als Meistersinger, legt auf Vorsingen Wert), und singt aus Versehen
auf der Melodie des Beckmesserständchens, die in der Prügelfuge
von allen Lehrlingen aufgenommen und weitergeführt worden war. Haha.
Zurechtgewiesen singt er dann die "richtige" Melodie: "Am Jordan Sankt
Johannes stand um alle Welt zu taufen ...", wo es darum geht, daß
die deutsche Mutti ihren von Johannes auf Johannes getauften Sohn zu Hause
dann natürlich Hans genannt hat. Nach Verabschiedung des Gratulanten
sinnt der Schuster-Dichter über die Agressivität der Menschen
in so einer Sommernacht nach, -- jetzt in Worten das, was im Vorspiel die
Celli gesungen haben.
Soweit
nur ein Ausschnitt aus der komplexen Komödie, polyphon nicht nur in
den verstrickten bestrickenden Melodien, sondern auch in der Mehrschichtigkeit
der biblischen Johannes-Motive, der romantischen Kunstwerk-Genese, der
stilgenau formgebenden Renaissance-Meistersinger-Regeln, und in der Fügung
der Figuren.
grusz, hansz
5.
Rundbrief 2013: Ausstellung
3.Juli
2013
Liebe
Freunde,
am
Freitag, dem 5. Juli 2013, ab 21 Uhr, ist es soweit: Ich eröffne meine
erste Ausstellung, wo ich die 16 großen Öl-und-Essig-Salat-Quadrate
zeigen will, die ich in den letzten Monaten gepinselt habe. Heilsames Gestalten
an heilsamen Gestalten. Der Malprozeß ist aktive, findend-mitvollführte
Lebensschrift: polyphone, kontrapunktische und harmonisierende Ausarbeitung
der verborgenen Strukturen, Wachstümer, Verkapselungen, Aufbrüche.
Die Bilder sind abstrakt, lassen die Deutung offen, so daß sich Gesichter
andeuten, Landschaften sich ausbreiten, überall Pflanzliches aufblättert,
Pelziges hindurchschlüpft, Planeten durch schlammige Gewölke
perlen, Juwelenaugen aus stumpfem Gestein hervorblicken, Zellen reich aufschäumen
und karge Kerne umkammern, Galaxien durch Meeresbuchten strudeln, Gesträuch
in Kapillarenfeinheit verrauscht. Ich lese Gedichte, die ersten acht sind
für die jeweiligen Bilder geschrieben, Bild
X - "Das kalte Gold" hat die Farben von "S'
ist Krieg", das Lied aus der Achtstern-Sammlung, also ist jenes Lied
diesem Bild zugeordnet. Ich habe Photos der 16 Bilder auf Karteikarten
geklebt, die jeweiligen Gedichte dazugelegt, Briefumschlag drumrum, vielleicht
bekommen die Veranstalter der "Akademie modus vivendi", wo die Quadrate
ausgestellt werden, ein wenig von den Unkosten rein - es ist ja ungewiß,
ob wer ein Salatquadrat käuflich erwerben will. Ich möchte mich
fast gar nicht von den Kostbarkeiten trennen, von meiner Überlebens-Medizin
all der Sonntage, wo Verlassenheit und Einsamkeit mich schon in den Abgrund
sogen, und da klammerte ich mich an die Wurzeln am Abhang, zog mich wieder
hoch, und malte. Jedes Bild neu, und jedes unwiderholbar, der Herausbildungsvorgang
ist viel zu verwickelt.
Im
Lied, einem tagebuchartigen Briefgedicht, zum Mondnein-Triptychon (Bild
V, VII und VI) ist das Entstehungs-Hin-und-Her festgehalten. Das möchte
ich am Freitag auch vortragen. Die Bilder hängen dann noch einen Monat
in der "Akademie". Und wie einen Verleger für meine Gedichte suche
ich einen Galeristen, der mich unter seine Fittiche nimmt. Ist da vielleicht
einer unter den Rundbrieflesern? Wär schön.
grusz, hansz
6.
Rundbrief 2013: Mondja
16.Juli
2013
Liebe
Freunde,
16
große Quadrate (90 x 90) hängen nun mindestens bis Mitte August
in der Akademie modus vivendi, und in den letzten drei Tagen entstand
ein 17. Ölbild dieser Reihe. Ich
habe sechs Photos geschossen, die das Werden und die Entwicklungsschritte
dieser Farb-Form-Harmonisierungs-Aufbruchs-Auseinandersetzung dokumentieren
und in diesen Schritten jeweils ein Bild zeigen, das für sich hätte
gelten und in diesem Stand stehen bleiben können, wenn ich nicht auf
jeder Entwicklungsstufe des Gestaltens das dringende Bedürfnis gehabt
hätte, entweder die
Fülle wieder zu reduzieren oder latente
Tendenzen ans Licht zu bringen und hervorzuheben.
Wie schon bei den Bildern
V und VI
des Mondnein-Triptychons bin ich auch hier im ersten Schritt von meinem
selbstgefundenen sechsspiraligen
Mandala ausgegangen und habe mich in den weiteren Phasen in eine Art
kontrapunktische Gegenspannung zu dessen symmetrischer Regelhaftigkeit
gesetzt. Dramatisch war dann die
Reduktion der Fülle von der vierten zur fünften Version:
"Es ist, als könnte ein ursprünglich
doch ziemlich süßer Apfel am Ende plötzlich zu einem sauren
reifen:
die Strukturen, kühl-blasses
Hellgrün in kratzigen Vibrationen, lassen den Betrachter frösteln.
Morgen soll es ja ein heißer
Tag werden - sieh da, mein Bild bringt Hilfe:
man braucht es bloß anzuschauen
und sich in seine wirren Labyrinthe zu verlieren,
schon friert es einen, die Härchen
richten sich auf (Sanskrit: "romaharsha"),
ein Gefühl, wie wenn Fingernägel
über eine Tafel kratzen, schauert einem über den Rücken.
Man versteht das Chamäleon,
dessen rauhe Runzelhaut sich dem anpaßt, was es sieht,
vielleicht wird man zum blaublaßgrünen
Avatar, mit frostig glühenden Flecken hier und da.
Uuuuuuuaaaaaaahhh ..."
grusz, hansz
7.
Rundbrief 2013: Hundertstern
8.Dezember
2013
Liebe Freunde,
zwei
Gedichtzyklen haben sich zur Reife gerundet: Der Achtstern,
der im Sommer schon erntereif im Baum hing, wurde Ende Oktober noch um
zwei herbstliche Abgesänge ergänzt, und die hundert Tagebuchgedichte
vom 15. Dezember 2012 bis Anfang August 2013 bilden unter dem Namen "Hundertstern"
eine Art Einschub in jene 35 Lieder des Achtsterns.
Zeitlich
haben sich die Blätter dieses Gewächses so entfaltet, daß
die Gedichte des Achtstern-Zyklus fast alle noch vor Weihnachten 2012 geschrieben
wurden, immer
sorgfältig ausgestaltet auf Papier, und daß dann, in der
Lebensschleife zwischen Weihnachten und Ostern, die
email-Grüße - Morgens, Tags, Abends, Nachts - mit ihren
spontan improvisierten Versen sich so angesammelt haben, wie die Daten
dieses "Tagebuchs" es jeweils anzeigen. Die entsprechenden emails, in denen
diese Strophen einst schwammen wie Eisbrocken im Fluß, sind alle
vernichtet, die Gedichte sind also gewissermaßen "abgehangen", gut
ausgeblutet, ent-zweckt, zu unpersönlicher Objektivität getrocknet
und wie Blumen gepreßt, vielleicht zart verblaßt, ein wenig
durchscheinend --
Große
Lyrik sind diese 100 nun nicht, gewiß noch weniger als die altbackenen
Achtstern-Lieder. Die habe ich in den letzten Tagen noch einmal durchmustert
-- Meine Güte, was habe ich da für ein Zeug geschrieben? Man
braucht diese Reimereien bloß neben einige gute Avantgarde-Gedichte
der letzten dreißig Jahre zu halten, ja sogar neben die kühnen
Fetzen, die jugendlich-berauschten Raps des Fünf- und des Sechssterns,
was bleibt dann? Was in diesen betulichen Werbegesängen hat Salz,
hat Witz, zeigt Schärfe und - überrascht? Ich gebs auf --
grusz,
hansz